„Alle Leitung in der Kirche ist demütiger, geschwisterlicher Dienst im Gehorsam gegenüber dem guten Hirten. (...) Die Ausstattung von Leitungsämtern mit Herrschaftsbefugnissen verstößt gegen die Heilige Schrift.“
(Grundordnung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz)
Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen
(Matthäus 18, 20)

600 Kirchengemeinden x 100.000 Euro Land x 100.000 Euro Kirchengebäude x 100.000 Euro sonstige Immobilien : 6,5 % Grunderwerbsteuer = 12.000.000 Euro600 Kirchengemeinden x 100.000 Euro Land x 100.000 Euro Kirchengebäude x 100.000 Euro sonstige Immobilien : 6,5 % Grunderwerbsteuer = 12.000.000 EuroDie Initiative „Kirche im Dorf lassen“ hat der Evangelischen Kirche Berlin - Brandenburg - schlesische Oberlausitz vorgeworfen, mit den umstrittenen Zwangsfusionen kleiner Kirchengemeinden finanzielle Verluste in zweistelliger Millionenhöhe zu riskieren. In einem Schreiben an Synodalpräses Harald Geywitz weist der Sprecher der Initiative Andreas Haufe darauf hin, dass die Kirche allein durch den vermeidbaren Anfall von Grunderwerbsteuer nach aktueller Rechtslage rund 12 Millionen Euro verlieren würde. „Die Kirchenleitung hat ihren gesamten juristischen Sachverstand offensichtlich darauf konzentriert, Widerstand der Basis gegen die Fusionen zu erschweren – und dabei dummerweise das Finanzamt vergessen“, kommentiert Haufe den handwerklichen Fehler des Konsistoriums: „Nachdem als Grund für die Fusionen immer wieder angebliche Sparzwänge angegeben wurden, hätten wir jetzt gern eine Erklärung, warum die Kirche plötzlich viele Millionen an den Staat verschenken kann.“

Gegen die von der Landessynode im November beschlossene Mindestzahl von 300 Mitgliedern, die Kirchengemeinden künftig haben sollen, um ihre Selbständigkeit zu behalten, laufen seit einem halben Jahr kleine Kirchengemeinden in Brandenburg Sturm. Die Initiative „Kirche im Dorf lassen“ bereite derzeit eine Musterklage vor, mit der die zwangsweise Bildung von Zentralkirchengemeinden verhindert werden soll, berichtet Haufe, der als Vorsitzender des Gemeindekirchenrates Lennewitz selber von einer solchen Fusion betroffen wäre. Mit ihrem Fehler bei der Grunderwerbsteuer biete die Kirchenleitung zum Jahreswechsel ein peinliches Bild, bedauert Haufe: „Da will jemand den knallharten Sanierer geben und merkt nichtmal, dass McKinsey nur einen Praktikanten geschickt hat. Noch teurer als die Steuer würden doch im Falle von Zwangsfusionen die Ehrenamtlichen, die aufhören, und die Mitglieder, die austreten. Eine Kirche lässt sich nunmal nicht leiten wie ein Konzern. Es sei denn man verprasst das Vermögen, bis nichts mehr da ist.“

Der Initiative „Kirche im Dorf lassen“ gehören derzeit 46 Kirchengemeinden an, die sich gegen die Zwangsfusionen wehren. Eine juristische Strategie zur Erhaltung des Selbständigkeit soll im Februar vorgelegt werden.

Das Schreiben im Wortlaut

Die Synode hat die Entschlossenheit der Dorfkirchengemeinden unterschätzt – die Auseinandersetzung hat erst begonnen (Foto: Schneewolf)Die Synode hat die Entschlossenheit der Dorfkirchengemeinden unterschätzt – die Auseinandersetzung hat erst begonnen (Foto: Schneewolf)Die Initiative „Kirche im Dorf lassen“ hat der Landessynode bescheinigt, mit ihrem gestrigen Beschluss für eine Mindestmitgliederzahl von Kirchengemeinden einen schweren Fehler gemacht und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz massiv geschadet zu haben. „Das ist der Schlusspunkt eines intransparenten Verfahrens und ein erneuter Beweis für die Ignoranz der Kirchenobrigkeit gegenüber den kleinen Kirchengemeinden auf dem Lande“, sagte Christoph Albrecht von der Initiative. Über das Ergebnis wundere er sich nicht, zumal die Vertreter der Dörfer auch bisher schon geringschätzig behandelt wurden und auf der Synode nicht einmal Rederecht erhielten: „Wir haben uns natürlich darauf eingestellt und starten schon nächste Woche durch mit einem ersten Rechtsanwaltstermin. Unsere Jahrhunderte alten und nach wie vor sehr lebendigen Gemeinden werden sich nicht zwangsweise fusionieren lassen, sondern um ihre Selbständigkeit kämpfen.“

Albrecht ruft alle Gemeindeglieder auf, sich nicht von dem Beschluss beeindrucken zu lassen und der Evangelischen Kirche treu zu bleiben: „Unser Glaube lässt sich nicht durch eine solche Fehlentscheidung erschüttern. Wir werden den etwa 600 betroffenen Kirchengemeinden zeitnah eine Handlungsanleitung zur Verfügung stellen, wie sie sich angesichts der neuen Situation verhalten können, um ihre Rechte zu wahren und vom jetzt angestrebten Musterprozess zu profitieren.“ Die Initiative ist davon überzeugt, dass sich der juristische Widerstand so organisieren lässt, dass die kleinen Kirchengemeinden weder ehrenamtlich noch finanziell belastet werden und der Status quo über einen langen Zeitraum aufrecht erhalten bleibt.

Protestbanner gegen die Zwangsfusionen stehen vor vielen Dorfkirchen, hier Rosenhagen in der PrignitzProtestbanner gegen die Zwangsfusionen stehen vor vielen Dorfkirchen, hier Rosenhagen in der PrignitzAnlässlich der morgen beginnenden Landessynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz in Berlin hat die Initiative „Kirche im Dorf lassen“ an alle Synodalen appelliert, das geplante Gesetz über eine Mindestmitgliederzahl von Kirchengemeinden abzulehnen. „Verwaltung und Funktionäre gaukeln Ihnen vor, es gäbe kontroverse Diskussionen darüber im ländlichen Raum, in Wirklichkeit stehen fast alle Dorfkirchengemeinden geschlossen dagegen“, sagte Andreas Haufe von der Initiative: „Wer noch zögert, sich unserer Initative anzuschließen, tut das zumeist in der Hoffnung, die Synode werde sich auf Grundsätze unseres christlichen Glaubens besinnen und das willkürliche und widersinnige Gesetz ablehnen.“ Von oben diktierte Zwangsfusionen widersprächen zutiefst dem Selbstverständnis der Evangelischen Kirche als dienende Gemeinschaft, die nur einen Herren kennt. Haufe: „Wenn die Landeskirche ohne Rücksicht auf den erklärten Willen der Gläubigen vor Ort Zentralkirchengemeinden schafft und dabei gleich noch das Vermögen der kleinen Gemeinden kassiert, so wäre das finsterste Ausübung von Herrschaft.“ Die Synodalen stehen nach seiner Einschätzung vor der Wahl, ob sie bei sinnvollen und notwendigen Strukturreformen weiterhin auf das Prinzip Freiwilligkeit setzen oder aber mit Beschluss der Mindestmitgliederzahl (geplant sind 300) eine lang anhaltende öffentliche und juristische Auseinandersetzung mit den Dorfkirchengemeinden riskieren. Haufe, der Vorsitzender des Gemeindekirchenrates Lennewitz ist, würde diesem Streit gern aus dem Weg gehen, sieht aber getrost in die Zukunft: „Wir erhalten unheimlich viel Zuspruch aus allen Regionen, haben viele engagierte Christen aus anderen Dörfern kennengelernt. Wir sind bereit.“

BU: Banner vor Feldsteinmauern: Christen aus dem ganzen Land wollen die Selbständigkeit der kleinen Kirchengemeinden erhalten (Foto: privat)BU: Banner vor Feldsteinmauern: Christen aus dem ganzen Land wollen die Selbständigkeit der kleinen Kirchengemeinden erhalten (Foto: privat)Gut sichtbar an der viel befahrenden Bundesstraße 5 wurde am heutigen Reformationstag das Banner der Initiative „Kirche im Dorf lassen“ vor der alt-ehrwürdigen Düpower Feldsteinkirche im Landkreis Prignitz aufgestellt. An den 800 Jahre alten Mauern des Gotteshauses verkündet es nun allen Passanten, dass eine wachsende Zahl von brandenburgischen Kirchengemeinden das Vorhaben der Kirchenleitung, kleine Gemeinden zwangsweise zu fusionieren, entschieden ablehnt. „An über 40 Kirchen im ganzen Land stehen inzwischen unsere Banner“ informiert Anne Petrick vom Gemeindekirchenrat Rosenhagen, die die Idee zu der plakativen Aktion hatte: „Wir können uns vor Anfragen kaum retten und werden vermutlich in der übernächsten Woche nachdrucken.“ Vielleicht verdoppelt sich die Zahl der Banner also noch, bevor Mitte November die Landessynode über die sogenannte Mindestmitgliederzahl entscheiden wird. „Wir bekommen jedenfalls sehr viel Zuspruch für unser Engagement und werden unsere Selbständigkeit nicht kampflos preisgeben“, so Petrick. In ihrem Internetauftritt hat die Initiative bereits angekündigt, dass die beteiligten Kirchengemeinden entsprechende Anordnungen der Kirchenleitung nicht befolgen und sich mit allen verfügbaren Mitteln gegen Zwangsfusionen wehren werden.

Protestbanner an den Kirchen der Westprignitz (Fotos: Rainer Schneewolf)

Andreas Haufe, Gemeindekirchenrat LennewitzAndreas Haufe, Gemeindekirchenrat Lennewitz

Der Widerstand gegen das Vorhaben der Evangelischen Landeskirche, kleine Kirchengemeinden zwangsweise zu fusionieren, hat einen Namen. Am heutigen Sonntag schaltete die Initiative „Kirche im Dorf lassen“ ihren Internet-Auftritt frei. Zwölf Kirchengemeinden aus der Prignitz tragen den Aufruf bereits mit, der von Andreas Haufe aus Lennewitz, Thomas Kern aus Kunow, Anne Petrick aus Rosenhagen, Beate Scheel aus Groß Leppin und Christoph Albrecht aus Krampfer unterschrieben ist. In vielen weiteren Kirchengemeinden im ganzen Land steht ein entsprechender Beschluss in den nächsten Wochen auf der Tagesordnung. „Wir arbeiten massiv an der Vernetzung, wollen vor der Landessynode im November deutlich machen, dass die von der Kirchenobrigkeit geplante Mindestmitgliederzahl in den betroffenen Dörfern entschieden abgelehnt wird“, beschreibt Andreas Haufe, Vorsitzender des Gemeindekirchenrates Lennewitz, die Stoßrichtung der Initiative: „Deshalb versichern wir uns schon heute gegenseitig, dass wir Anordnungen, die zum Verlust unserer Selbständigkeit führen würden, nicht befolgen, sondern uns gemeinsam in der Öffentlichkeit und notfalls auch vor Gericht dagegen wehren werden.“

Der Protest richtet sich nicht grundsätzlich gegen strukturelle Veränderung. Nach Einschätzung der Initiative gebe es Situationen, in denen eine Fusion sinnvoll sein kann. „Aber solche Zusammenschlüsse müssen freiwillig entstehen, wenn sie gelingen sollen, auf keinen Fall durch Druck von oben“, betont Haufe. In vielen gut funktionierenden kleinen Gemeinden gebe es derzeit überhaupt keinen Anlass, darüber nachzudenken. 300 Gemeindemitglieder zur Voraussetzung für die Existenz einer Kirchengemeinde zu machen, sei willkürlich und lebensfremd, sind Haufe und seine Mitstreiter überzeugt und sprechen von „Entmündigung und Enteignung“. Alle Christen werden aufgerufen, den Protest zu unterstützen. Zur Vorbereitung einer möglichen rechtlichen Auseinandersetzung wurde bereits ein Spendenkonto eingerichtet. Der große Zuspruch aus den Dörfern und die landesweite Solidarität stimmen Haufe zuversichtlich, dass die Initiative sich durchsetzen, vielleicht sogar schon die Synode überzeugen wird. „Wir wollen die Kirche im Dorf lassen – nicht nur die Steine und Balken, auch den Heiligen Geist, der in lebendigen selbständi­gen Gemeinden wirkt“, sagt er und zitiert aus der Bibel: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“

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